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/ August 2020

Der Niedergang der Krawatte

Früher ein Muss, heute sogar in der Immobilienbranche ein Ausläufer: die Krawatte. Ist das das Ende des guten Stils?

Wenn man auf der Website des größten deutschen Wohnungskonzerns auf die Vorstandsseite klickt, erschrickt man ein wenig. Die Herren posieren alle mit offenem Kragen und nacktem Hals. Was ist da los, wo ist der Schlips?

Ein bisschen Beruhigung stellt sich immerhin ein, wenn man sich durch die geschäftsführenden Vorstände anderer DAX- und MDAX-Mitglieder aus dem Immobiliensegment und auch durch den Mähren-Vorstand klickt: alle Herren mit Krawatte. Hier lebt die Tradition also fort. Allerdings ist ein Foto auf einer Website noch lange kein Zeichen dafür, dass der Schlips in der Immobilienbranche modisch weiterhin auf der Höhe ist. Denn in Wahrheit ist er hier ebenfalls, wie in allen Branchen, auf dem Rückzug.

Altbacken, konservativ, rückständig?

Unternehmen streben, vermutlich auch unter dem Eindruck einer stärkeren Digitalisierung, nach einer moderneren, dynamischen Ausstrahlung, und zwar nach innen wie nach außen: Seine Mitarbeiter stärkt man in ihrer Individualität und ihrem Wohlgefühl, und als Marke will man mit Sneakern und offenem Hemd Schwung und Offenheit vermitteln. Der Langbinder dagegen gilt als altbacken, konservativ, rückständig, und seit der Finanzkrise – als all die Investmentbanker in ihren Anzuguniformen und mit der obligatorischen Krawatte die Wirtschaft in den Abgrund gestoßen haben – vielleicht sogar ein wenig verdorben.

Die Immobilienbranche hat neben Banken und Versicherungen ein bisschen länger an der Krawatte festgehalten als die meisten anderen. Wie bei der Digitalisierung läuft man auch beim Erscheinungsbild dem allgemeinen Zeitgeist eben ein Stück hinterher. Aber der Trend ist eindeutig: Im Arbeitsalltag spielt sie kaum noch eine Rolle, auf Konferenzen trägt sie höchstens jeder Zweite und beim Afterwork will man keinesfalls als Spießer auftreten und lässt sie im Büro oder in der Tasche.

Trotz allem: Der Ästhet trägt Schlips

Rein ästhetisch ist die Sache allerdings klar: Zu einem Anzug gehört ein Binder, sonst ist er optisch nicht vollständig. Er ist sonst auch einfach langweilig. Doch Ästhetik spielt im Business nicht die erste Rolle, sondern da geht es um Botschaften, und die Krawatte trifft im Allgemeinen offenbar nicht mehr den gewünschten Ton.

Aber: Je mehr der Schlips verschwindet, umso stärker wird seine Ausstrahlung. Wo alle nur noch mit offenem Hemd herumlaufen, setzt der Krawattenträger ein Statement.
Was für ein Statement das ist, entscheidet ganz allein der Träger beziehungsweise dessen Selbstbewusstsein, mit dem er den Binder präsentiert: Entweder er erscheint wie aus der Zeit gefallen. Oder er wirkt unabhängig, furchtlos, sicher – und ja, vielleicht sogar als Ästhet.

Auch wir tragen gerne Krawatte. Besonders bei geschäftlichen Meetings, denn der Schlips ist auch immer ein Zeichen der Wertschätzung des Gegenübers. Das hält uns aber nicht davon ab, uns an Tagen ohne Geschäftskontakt modern, dynamisch und ohne Binder zu kleiden.